Eva-Braun-Haus in Pobierowo – Geschichte oder hartnäckiger Mythos?
Ein altes, halb verfallenes Holzhaus am Rand eines Kiefernwaldes in Pobierowo, einem kleinen Badeort an der polnischen Ostseeküste. Moos zieht sich über die Balken, die Fenster sind vernagelt, die Veranda bröckelt. Und doch kommen immer wieder Besucher, um es zu sehen. Der Grund ist eine Geschichte, die sich seit Jahrzehnten hält: Hier, so heißt es, habe Eva Braun ihre Sommer verbracht – Hitlers Geliebte und spätere Ehefrau. Doch stimmt das wirklich?
Der Mythos von Eva Brauns Haus in Pobierowo
Die Behauptung, Eva Braun habe ein Sommerhaus im damaligen Poberow besessen, gehört zu den bekanntesten lokalen Legenden an der polnischen Ostseeküste. In Reiseblogs, auf Social Media und in manchen Ortsführungen wird das Gebäude als „verlassene Villa Eva Brauns“ bezeichnet.
Die Erzählung passt zu dem, was Menschen an sogenannten Lost Places fasziniert: ein verwittertes Haus, ein Hauch von Geheimnis und ein Name, der die Fantasie beflügelt. Doch wie bei vielen Mythen liegt der Reiz weniger in den Fakten als in der Vorstellung, dass hier etwas Verbotenes und Verborgenes passiert sein könnte.
Dabei war Eva Braun zu Lebzeiten keine öffentliche Figur. Sie tauchte in keiner Zeitung auf, begleitete Hitler nie bei offiziellen Anlässen und war selbst in der NS-Führung weitgehend unbekannt. Erst nach 1945, als ihre Tagebücher und Fotoalben bekannt wurden, wurde sie zur Symbolfigur für das private Leben des Diktators – und damit zur Projektionsfläche für viele Geschichten, die kaum überprüfbar sind.
Gesicherte Orte in Eva Brauns Leben
Wer den Mythos prüfen will, muss sich die belegten Aufenthaltsorte Eva Brauns ansehen. Ihr Leben spielte sich in einem engen geografischen Kreis ab – vor allem in Bayern und später in Berlin.
| Aufenthaltsort | Funktion | Belege |
| Berghof (Obersalzberg) | Hauptwohnsitz, privater Rückzugsort | Fotos, Filme, Zeitzeugenberichte |
| München | Stadtwohnung, familiäre Basis | Briefe, Biografien |
| Berlin (Führerbunker) | Letzter Aufenthaltsort | Zeugenaussagen, Heiratsurkunde |
| Pobierowo | Lokale Behauptung | Keine Primärquellen |
Am Berghof bei Berchtesgaden verbrachte Eva Braun die meiste Zeit ihres Erwachsenenlebens. Hier führte sie das abgeschirmte Leben einer Frau, die Teil von Hitlers privatem Umfeld war, aber keinerlei öffentliche Rolle hatte. Während des Krieges galt der Obersalzberg als sicherster Ort im Reich; unter dem Berghof entstanden weit verzweigte Bunkeranlagen.
Nur gelegentlich reiste Braun nach München oder in den Süden, etwa an die italienische Riviera. Diese Reisen sind durch ihre eigenen Fotos und Filme dokumentiert – und genau das macht ihre Abwesenheit aus Pommern so auffällig.
In keiner Quelle, weder in ihren persönlichen Aufzeichnungen noch in Akten des Reichssicherheitsdienstes, taucht ein Hinweis auf einen Aufenthalt an der Ostsee auf. Kein Foto zeigt Pobierowo, keine Zeile in ihren Tagebüchern erwähnt es.
Ein längerer Aufenthalt einer Person aus Hitlers engstem Kreis an einem Ort fernab der militärischen oder politischen Zentren hätte zudem enorme Sicherheitsmaßnahmen erfordert. Es gibt jedoch keine Belege für eine solche Operation.
Das Haus in Pobierowo
Das Haus, das heute mit Eva Braun in Verbindung gebracht wird, existiert tatsächlich. Es handelt sich um eine einstöckige Holzvilla aus den 1930er Jahren, mit Veranda, Walmdach und Blick auf die Steilküste. Gebaut wurde sie vermutlich als Ferienhaus für hohe Beamte oder Militärangehörige des damaligen Deutschen Reichs.

Während des Krieges soll das Gebäude nach Aussagen älterer Bewohner bewacht worden sein – ein Detail, das dem Mythos Glaubwürdigkeit verleiht. Auch der Name Hermann Göring fällt immer wieder: Der Reichsmarschall besaß in der Nähe ein eigenes Anwesen und soll das Haus in Pobierowo besucht haben.
Die Kombination aus einem bewachten Gebäude und der Nähe zu einem prominenten NS-Funktionär lieferte nach dem Krieg den Nährboden für Spekulationen. Als sich niemand mehr genau an die ursprünglichen Bewohner erinnerte, suchte man nach einem bekannteren Namen – und fand ihn in Eva Braun.
Manche Historiker vermuten außerdem, dass es zu einer Verwechslung gekommen sein könnte. Denn auch der Raketenforscher Wernher von Braun war während des Kriegs an der pommerschen Küste tätig, im nahe gelegenen Peenemünde. Der Name „Braun“ könnte so im kollektiven Gedächtnis verschmolzen sein.
Was sagen Historiker?
Die historische Forschung ist sich einig: Es gibt keine Belege für eine Verbindung Eva Brauns zu Pobierowo.
Die Historikerin Heike B. Görtemaker, deren Biografie „Eva Braun. Leben mit Hitler“ als Standardwerk gilt, beschreibt Brauns Leben als streng kontrolliert und räumlich stark begrenzt. Alles, was bekannt ist, spricht gegen längere Aufenthalte an abgelegenen Orten.
Auch in den beschlagnahmten Privatfilmen Eva Brauns, die heute in den US-Nationalarchiven liegen, finden sich keinerlei Aufnahmen der pommerschen Küste. Ihre Kamera dokumentierte fast obsessiv ihren Alltag – Spaziergänge am Berghof, Besuche in Italien, Familienfeste in München. Dass sie ausgerechnet einen längeren Aufenthalt an der Ostsee nicht festgehalten hätte, ist kaum vorstellbar.
Das Fehlen solcher Belege gilt in der Geschichtswissenschaft als starkes Gegenargument. Wenn eine Person über Jahre hinweg fast alles dokumentiert, ist das Schweigen der Quellen selbst ein Beweis – in diesem Fall dafür, dass die behauptete Episode nie stattgefunden hat.
Warum sich der Mythos um das angebliche Haus von Eva Braunhält
Bleibt die Frage, warum sich die Geschichte trotzdem so hartnäckig hält. Ein Teil der Antwort liegt in der Faszination für das Private im Nationalsozialismus.
Eva Braun ist bis heute eine Figur, die das Alltägliche inmitten des Grauens symbolisiert – die Frau, die Modezeitschriften las, fotografierte, tanzte, während ihr Partner einen Weltkrieg führte. Ihre Geschichte erlaubt es, über die NS-Zeit zu sprechen, ohne sich sofort mit Verbrechen und Ideologie auseinanderzusetzen.
Dazu kommt die Anziehungskraft des Ortes selbst. Das verlassene Haus, verborgen zwischen Kiefern, weckt Neugier. Es ist ein Schauplatz, an dem sich Geschichte und Fantasie überlagern. Für den Tourismus ist das nützlich: Der Mythos lockt Besucher an, die sonst kaum nach Pobierowo kämen. Auch lokale Historiker halten sich deshalb oft bedeckt – man wolle „nichts ausschließen“, heißt es.
Solche Formulierungen klingen vorsichtig, sind aber irreführend. In Wahrheit gibt es keinen neutralen Zwischenstand zwischen Mythos und Fakt. Die belegte Biografie Eva Brauns schließt einen Aufenthalt an der Ostsee praktisch aus.
Fazit: Eva Brauns Sommerhaus ist eine Geschichte ohne Fundament
Alles, was sich historisch belegen lässt, spricht dagegen, dass Eva Braun jemals in Pobierowo war. Das Haus an der Küste war vermutlich Teil der Erholungsinfrastruktur des NS-Regimes, vielleicht von Offizieren oder Beamten genutzt, aber nicht von Hitlers Gefährtin.
Der Mythos hat dennoch Bestand – weil er spannend klingt, weil er Touristen anzieht und weil er eine bequeme Distanz zur Geschichte bietet. Statt den Ort als „Eva Brauns Sommerhaus“ zu vermarkten, wäre es ehrlicher, ihn als das zu zeigen, was er ist: ein Stück lokaler Erinnerungskultur, das mehr über die Nachkriegszeit erzählt als über das Dritte Reich.
Die eigentliche Geschichte von Pobierowo ist damit keine über das Sommerhaus von Eva Braun, sondern über die Kraft von Mythen – und darüber, wie leicht sie die Lücken füllen, die die Geschichte offen lässt.